Philipp Stähle – Fahrenheit
15.07. – 05.08.2021 | In Der Galerie Artoxin – Kuratiert Von Dr. Olena Balun | Mittwoch–Freitag 13–19 Uhr + Samstag 12–18 Uhr
Von Texten Und Temperaturen
„Words have temperatures… When they reach a certain point and become hot, they appeal to me“ – Ed Ruscha
Wörter, ihre Intensität, Valenzen und Temperaturen sind schon lange ein Thema in Philipp Stähles Werk. Als schreibender Maler zeigt er in der Ausstellung fahrenheit eine Auswahl von Werken, die einen Überblick über verschiedene Facetten seines Schaffens geben und sich in ein spannendes System mit variabler Leserichtung fügen.
Schriftzüge Münchner Ladenschilder haben den notwendigen Wärmepunkt erreicht, um zum Gegenstand einer seit 2020 fortlaufenden Reihe der Gemälde zu werden. Es geht hierbei um kleine, inhabergeführte Geschäfte mit Alleinstellungsmerkmal im Westend und in der Isarvorstadt, die inzwischen zur verschwindenden Art in München gehören. Stähle würdigt in seinen Gemälden das Unangepasste dieser Orte. Nichts wird verschönert, ganz im Gegenteil, abblätternde Farbe und unregelmäßige Typographie sind Details, auf die ein besonderer Wert gelegt wird. Unscheinbare kleine Läden erhalten in diesen Werken einen neuen Stellenwert. Zum einen durch die klassische Gattung der Leinwandmalerei, zum anderen durch das Format. In den Gemälden wird ihnen ein neuer Raum und eine andere inhaltliche Dimension gegeben – ein Griff zwischen Ironie und Nobilitierung.
Die Wirkung der Schriftzüge wird durch die Gestaltung des Bildgrunds verstärkt. Diesen bestimmt dee serielle Abdruck von Getränkekästen, eine seit 2014 typische Methode des Künstlers. Der Anreiz dafür liegt zum einen in dem formellen Interesse, zum anderen in der Aneignung eines kunstfremden Objekts als Malerwerkzeug. Es entsteht eine lockere Netzstruktur, die die Komposition hinterfängt und in der Zusammenwirkung mit der Schrift den notwendigen Grad an Abstraktion erreicht. Letztere hebt die Zweckmäßigkeit des Schriftzugs auf und erzeugt eine ikonische Wirkung des Motivs.
Wortmalerei, Reklamebilder und Ladenschilder führen in der Kunst eine lange Tradition. Seit der Avantgarde stellt sich nicht mehr die Frage nach ihrer Bildwürdigkeit. Seit Ed Ruscha wird der intellektuelle Gehalt des Themas nicht hinterfragt. Ruscha ist eine wichtige Referenz für Philipp Stähle. Mehrere Vergleichspunkte sind nennenswert. Beide Künstler reagieren sehr sensibel auf Alltagsobjekte ihrer Erfahrungswelt (Armin Zweite, 2013). Bilder dieser Erfahrungswelt werden auf unterschiedliche Art und Weise Stilisierungs- und Transformationsprozessen unterworfen, bei keinem geht es um bloße Reproduktion. Beide führen in ihren Werken einen Diskurs über das Serielle und das Einmalige. Ed Ruscha betont die Allgemeingültigkeit der dargestellten Werbesprüche, während Philipp Stähle das Spezifische konkreter Läden hervorhebt. Es sind Reklameschilder der Geschäfte, die seine unmittelbare Lebensumgebung ausmachen.
In Ed Ruschas Gemälden sind Berggipfel und Himmelbilder ein häufiger Hintergrund. Berglandschaften spielen auch in Stähles Werk eine erhebliche Rolle. In der Ausstellung bilden sie einen Kontrapunkt zu den Wortbildern. Im Gegensatz zu den imposanten Großformaten der Reklameschilder wird dem erhabenen Motiv der Romantik ein eher kleineres Format zugestanden. Das Kurvendiagramm der Bergsilhouette erhält einen Index, die Werke werden zu einer Metapher der Kursschwankungen zwischen der Ratio und der Emotio.
Themen der Malerei finden eine Fortsetzung in Stähles Zeichnungen. Die Verbindung von Bild und Text ist in den Arbeiten auf Papier nicht willkürlich, aber auch nicht illustrativ. Der Künstler hat viel Freude an der Ironie seiner Botschaften, die nicht zuletzt durch die Verbindung des scheinbar Unvereinbaren, des Profanen und Erlesenen zustande kommt. Darstellungen der Sprache – Sinnsprüchen und Wörtern – wird sowohl die inhaltliche als auch die kompositionsbildende Rolle zugestanden. Sprache wird zum grafischen Element und geht wie bei den Gemälden weit über das Zeichenhafte hinaus.
Textarbeit als künstlerische Praxis ist ein wichtiger Teil in Philipp Stähles Oeuvre. Die Schreibmaschine ist ein unabdingbares Instrument davon. Entstehende Kurztexte vereinen Gedankengänge, Gesprächsfragmente, Beobachtungen und Zitate, die keinem festen Sujet-Schema folgen. Inhaltlich wie stilistisch bewegt sich der Künstler zwischen der Freude und der Skepsis am Intellektuellen, hat einen besonderen Humor, nicht selten an der Grenze zur Tragikomik, und vereint einen poetischen Zugang mit einer inhaltlichen Dichte. Das Geschriebene verfügt über eine erstaunliche Leichtigkeit, die jedoch sehr gut überlegt ist. Die Wortwahl ist akkurat und genau, die Gedanken sind scharf formuliert.
Die ästhetische Wirkung dieser Arbeiten ist von Bedeutung. Die Schreibmaschine trägt ihren Teil dazu bei, sie bedingt kleine Unregelmäßigkeiten im Textbild, unbeabsichtigte Leerzeichen mitten im Wort, Zeilenverschiebungen, kleine Tippfehler. Das Holprige bricht die Perfektion des Ausdrucks und macht das Werk besonders. Scharf gestochene Worte, aneinander gereihte Aphorismen mit kleinen Schönheitsfehlern erklingen in einem Staccato der Schreibmaschinenanschläge. Beim Lesen kann man das beinahe hören. Das Mosaik der Schriftstücke fügt sich in ein gut funktionierendes System. Texte wirken einzeln für sich, aber auch in ihrer Gesamtheit als Kapitel, deren Reihenfolge variabel ist. Der Künstler selbst bestätigt das und beruft sich auf die sogenannte „Cut-up“-Methode, eine Neuabmischung von Texten und Textfragmenten, eine Praxis, die im Dadaismus ihren Ursprung hatte und eine erfolgreiche Fortsetzung in der Postmoderne bei den Autoren wie William S. Borroughs oder Julio Cortázar fand.
Diesem Prinzip folgt auch das Mappenwerk, das in der Ausstellung erstmals präsentiert wird. Die Mappe fun/pleasure ist ein Konzeptwerk, bestehend aus acht Texten, einer Wortzeichnung (beides reproduziert als Digitaldruck in limitierter Auflage) und einer Originallithographie. Die ausgewählten Texte haben einen lyrischen Charakter. Das lithographische Blatt folgt der Methode von Stähles Zeichnungen. Das Motiv einer Schneekugel mit Neuschwanstein wird durch den Satz „The greatest show on earth“ untertitelt. Wie bei den meisten Blättern ist die Deutung nur fragmentarisch möglich. Der Spruch ist auf den Finanzjargon zurückzuführen als Bezeichnung der Börse. Ähnlich wie bei den Berglandschaften wird das romantische Motiv durch einen pragmatischen Kontext konterkariert. Weiß man, dass die Arbeit während der Weihnachtszeit im Lockdown entstanden ist, kommen weitere inhaltliche Schichten hinzu: die hermetisch geschlossene, künstliche Idealwelt der Schneekugel, die ständige Wahrnehmung der Außenwelt durch die Glasoberflächen der Bildschirme.
Das Wortspiel fun/pleasure als Mappentitel reflektiert nicht nur die inhaltliche Spanne der darin gesammelten Werke. Die vermeintliche Kontroverse des Wortpaares umschreibt einige der oben genannten Facetten in Stähles Arbeitsprinzip, und hat zudem eine konkrete Referenz in der Literatur: Ray Bradburys Roman Fahrenheit 451, das vermutlich wichtigste Werk über die Kraft des geschriebenen Wortes, das für das Konzept der Ausstellung mehrere Anregungen gab. Der Roman beginnt mit den Worten des Feuerwehrmanns Guy Montag: „It was a pleasure to burn“ – und aus der Lust Feuer zu legen entsteht im Laufe der Handlung ein gänzlich anderes Vergnügen am Brennen.